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Barbara Köhler
Istanbul hat in den letzten Wochen und Monaten besorgniserregende politische Schlagzeilen gemacht. Im Frühjahr 2014, also in der Zeit zwischen den Protesten auf dem Taksim-Platz im Jahr 2013 und den aktuellen Unruhen, hat die Schriftstellerin Barbara Köhler sich mit einem Stipendium einige Wochen in der Stadt am Bosporus aufgehalten: „Zu lange für Tourismus“, schreibt sie, „für Alltagseingewöhnung zu kurz: dazwischen ist man fremd.“ Das Ergebnis ist ein wunderschöner bibliophiler Band, der unter dem Titel „Istanbul, zusehends“ Gedichte und „Lichtbilder“ versammelt. Diesen Band wird Barbara Köhler am 6. April um 20 Uhr im Theatertreff, Neubrückenstraße 63, vorstellen. Es ist eine Veranstaltung des Literaturvereins Münster; sie wird unterstützt von der Kunststiftung NRW.Die 1959 bei Amerika/Sachsen geborene und in Duisburg lebende Dichterin Barbara Köhler schreibt Lyrik und Prosa und hat literarische Werke von Samuel Beckett und Gertrude Stein übersetzt. Im Jahr 2001 war sie Gast des Lyrikertreffens Münster.
So fremd sich die Dichterin in Istanbul fühlt - sie lässt dieses Fremdheitsgefühl nicht auf sich beruhen, sie geht ihm nach, macht sich ein Bild und schafft Bilder. In 23 Gedichten und vielen Fotos, die auf ihren Streifzügen ganz beiläufig entstanden, scheint „zusehends“ ein immer vielgestaltigeres Antlitz Istanbuls auf: Farben, seltsame Blumen, die Augen der Stadt, Spuren und Zeichen, das Fremde der Sprache, Worte und Blicke. Dabei wird Sightseeing zum seeing sight: das Sehen sehn, den eigenen Blick, die fremden Blicke und wie sie sich begegnen. Barbara Köhler ist auf Istanbul zugegangen, hat hingesehen und hingehört und das Gefundene mit Kamera und Sprache festgehalten.
Für diesen buchstäblich eindrucksvollen Band hat Barbara Köhler in diesem Jahr den angesehenen Peter Huchel–Preis erhalten. In der Begründung der Jury heißt es: „Das Zusammenspiel von Sprache und Bild stiftet eine poetische Genauigkeit, in der mit Emphase und Empathie die Topographie der Stadt erkundet wird. Ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Fremdheit am Bosporus zeigt, dass es keine Unschuld des Blicks gibt, aber dass die Betrachterin immer schon teilhat am Gesehenen. Ein raffiniertes Netz von Sprachbildern und Bildsprache knüpft einen fliegenden lyrischen Teppich, der ganz selbstverständlich im Alltag auch die Wucht des Politischen einfängt.“
Der Lyriker Nico Bleutge in der Süddeutschen Zeitung sieht ebenfalls das politische Potential dieses vielstimmigen Werkes: „Ein besseres Gegenmittel zu allen autokratischen Tendenzen als diese bewegliche Sprache mit ihrem ‚magischen Potenzial‘ lässt sich kaum denken.“