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Mariam Kühsel-Hussaini
Das gibt es auch nicht jedes Jahr: Dass die Literaturbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ihre Buchmessenbeilage mit einem Debütroman aufmacht. In diesem Herbst ist es geschehen. In einer Doppelrezension wurde nicht nur der für den Deutschen Buchpreis gehandelte Roman von Thomas Lehr – „September. Fata Morgana“ – vorgestellt, sondern auch der erste Roman einer 1987 in Kabul geborenen, heute in Berlin lebenden Autorin. Am Dienstag, den 30. November wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Mariam Kühsel-Hussaini aus „Gott im Reiskorn“ lesen.Das Buch – ein Roman in neun „Bildern“ – erzählt die Geschichte einer alten afghanischen Kalligraphenfamilie: Ende der fünfziger Jahre nimmt sie einen europäischen Gast auf, den jungen Kunsthistoriker Jakob Benta aus Berlin. Sayed Da’du Hussaini, der Kalligraph des Königs, und dessen Sohn Rafat führen ihn in die Herzkammern des Orients, in die Schreibkunst, in die Poesie. Jakob Benta erlebt zauberhaft machtvolle Augenblicke: Momente der Schöpfung mit dem Kalligraphen, einen Dichter-Wettstreit mit dessen Sohn Rafat unter den Buddha-Statuen in Bamiyan und schließlich Gott im Reiskorn, ein mit einer Sure beschriebenes Reiskorn, das der Kalligraph, als könnte er mit einem sittlichen Appell, die Weltpolitik noch wenden, Ende der dreißiger Jahre an die Berliner Reichskanzlei geschickt hat. Als Benta Afghanistan nach Jahren verlässt, ist ihm das Rätsel des Orients noch verschlossener und größer als zu Beginn seiner Begegnung. Der Kalligraph verliert 1973 mit dem Sturz des Königs sein Amt, sein Sohn wird Dichter. Die Russen marschieren ein. Die Familie bleibt in Afghanistan, bis das Land sich schließlich in einem Bürgerkrieg selbst zerfleischt. 1989 verlässt sie Kabul, das Tag und Nacht von den Hängen aus beschossen wird, und geht ins Exil, erst nach Indien und dann nach Deutschland.
Mariam Kühsel-Hussaini, Enkelin des Kalligraphen Sayed Da´ud Hussaini, erzählt die Geschichte ihrer Familie, deren Wurzeln bis zu Mohammed zurückreichen. In einer unerhörten Sprache, die Orient und Okzident zu vereinen scheint, bietet sie Einblicke in die betörende afghanische Kalligraphie und Poesie und den unermesslichen Reichtum einer Kultur, die inzwischen zerrieben zu werden droht. Dabei gewinnt Mariam Kühsel-Hussaini der deutschen Sprache vollkommen unbekannte Klänge ab, selbst die syntaktischen Möglichkeiten des Deutschen werden staunenswert neu realisiert. Martin Walser hat schon recht, wenn er dieses Buch einen Glücksfall nennt: „Die Reichtümer ihrer orientalischen Herkunft erzählt Mariam Kühsel-Hussaini jetzt in der grenzenlosen Ausdruckskraft ihrer deutschen Sprache. Die deutsche Sprache darf sich bereichert fühlen durch Mariam Kühsel-Hussaini. Das ist die höchste Stufe der Integration.“