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Charlotte Mutsaers

Vor zehn Jahren war sie Gast des Literaturvereins mit ihrem hinreißenden Essayband „Kirschenblur“. Jetzt präsentiert sie – lange nach „Rachels Röckchen (1994, dt.1997) – ihren zweiten Roman. Am Dienstag, den 8. November 2011 wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Charlotte Mutsaers aus „Kutscher Herbst“ lesen.

Dass ein männliches Alter ego der niederländischen Autorin – ein ausgebrannter Schriftsteller namens Maurice Maillot – zum Schreiben zurück – und aus seiner Single-Existenz herausfindet, hat mit einem Ding zu tun. Es ist ein Handy der Firma Nokia, das Maurice an einem Maimorgen im Vondelpark in Amsterdam findet. Er kann nicht daran zweifeln, dass Nokias Claim „connecting people“ und das Logo mit den beiden Händen ihm ein neues Leben verheißen. Die an eine Dora gerichtete SMS-Nachricht auf dem gefundenen Mobiltelefon bringt ihn dann tatsächlich in Kontakt mit einer Adolphe Klein. Begeistert erkennt die junge Frau in Maurice Maillot den Verfasser des Romans „Sommerchlor“, der sie dazu motiviert hat, Mitglied der „Lobster Liberation Front“ zu werden, einer militanten Gruppe von Tierrechtsaktivisten. Mit fliegenden Fahnen läuft Maurice zu Adolphe über – als Autor und als Mann. Er entbrennt in Liebe und ist bereit, seinerseits zum Vegetarier zu werden. Denn die Begegnung mit Adolphe sprengt den „writers’s block“. Maurice ist freilich entsetzt, dass sie ihn nach einem Liebesakt mit „Kutscher Herbst“ anredet, Wörtern aus einem Gedicht ausgerechnet von Osama Bin Laden, der sich in den 90er Jahren wirklich als Dichter und Tischredner versucht hat. Maurice kann noch nicht ahnen, welch wilde Sehnsucht Adolphe in diesen Zeilen artikuliert. Adolphe reist nach Oostende, um waghalsige Aktionen der „Lobster Liberation Front“ vorzubereiten; Maurice folgt ihr ein halbes Jahr später und bekommt mit, wie unbeirrbar und radikal die Tierrechtsaktivisten zu Werke gehen.

Charlotte Mutsaers erzählt die herzzerreißende Geschichte zweier Königskinder, die einander unerreichbar nah und hautnah fern sind – und eben deswegen voneinander nicht lassen können. Die Liebesgeschichte wird zu einer verzweifelten Passionsgeschichte. Sie leitet sich her aus Adolphes Erkenntnis über das Mitleid, das den geschundenen Tieren stellvertretend für jede geschundene Kreatur gilt. Ihre Radikalität berührt sich mit dem, was Arthur Schnitzler einmal über die Sentimentalität gesagt hat, die das Alibi der Hartherzigen sei. Sie erklärt Maurice, dass aufrichtiges Mitleid, herzzerreißendes Mitleid, einen einfach überfalle: „Wie Verliebtheit. Wie Geilheit. Wie alles, was uns wirklich berührt. Das hat nichts mit freiem Willen, Moral oder Verstand zu tun. Keinen Deut. Weil es keine Entscheidung ist, sondern ein Überfall. Und nach diesem Überfall landest du im Gefängnis. Dein eigener Verstand wirft dich hinein. (…) All dein Fühlen wird vergiftet. Logisch, dass du crazy wirst und Selbstmord begehst. Das ist das Los eines jeden Sanftmütigen. Dem Sanftmütigen steht nur ein Weg offen: hart zu werden, knall-, knallhart. Schaffst du das nicht, musst du rechtzeitig aussteigen. Selbst wenn du den Mann deines Lebens getroffen hast.“
Die Neue Zürcher Zeitung: „In diesem wilden Roman reisen die Leser auf einer Geisterfahrt durch die düstersten Provinzen der Seele, ergriffen gleichermassen von der Hilflosigkeit dieser erwachsenen Kinder wie von ihrem masslosen und doch vergeblichen Liebeswahn.“

Ja, Charlotte Mutsaers hat den radikalsten Roman dieses Herbstes geschrieben.