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Alida Bremer
Ihrem neuen Buch hat Alida Bremer als Motto ein Zitat des italienischen Schriftstellers Carlo Emilio Gadda (1893 – 1973) vorangestellt. Es stammt aus dem Roman „Die grässliche Bescherung in der Via Merulana“ (1957): „Aber das Verbrechen war die Auswirkung einer ganzen Windrose von Ursachen, die wie ein Mühlrädchen in Schwung gesetzt worden war.“ Am Mittwoch, den 9. März 2022 wird Alida Bremer um 20 Uhr im Theatertreff, Neubrückenstraße 63, aus ihrem Roman lesen, dessen Titel schon Programm ist: „Träume und Kulissen“.Alida Bremer, geboren 1959 in Split/Kroatien. studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Romanistik, Slawistik und Germanistik in Belgrad, Rom, Saarbrücken und Münster. Bremer kam mit 26 Jahren erstmals nach Deutschland und lebt seit 1987 in Münster. Nach ihrer Promotion – über die „Poetik des postmodernen Kriminalromans“ – arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lektorin an den Universitäten in Münster und Gießen. Bremer ist Herausgeberin mehrerer deutschsprachiger Anthologien kroatischer Literatur und Übersetzerin zahlreicher Werke aus dem Kroatischen, Serbischen und Bosnischen. Im Jahr 2013 legte sie ihren ersten, Roman vor: „Olivas Garten“. Auch in ihrem zweiten Roman kehrt sie in ihre kroatische Heimatstadt zurück.
Zeit der Handlung: Sommer 1936. In Split herrschen buntes Treiben und frivole Leichtigkeit. Unter die Touristen der europäischen Hautevolee mischen sich aber zunehmend auch Juden auf der Flucht, Kommunisten und andere Gegner des NS-Regimes – und mit ihnen Schlepper und Spione aus aller Herren Länder. Nicht weniger Argwohn wecken deutsche Filmteams, selbst wenn die Einheimischen stolz darauf sind, dass ihre Stadt eine beliebte Kulisse für internationale Filmkunst ist. Die Strände, Cafés und Kneipen sind voll, im Hafen liegen Passagierdampfer und Militärschiffe neben Fischerbooten – und eines Morgens ist da auch eine Leiche, ein Alptraum. Es gibt wenige Spuren, und die führen in alle Richtungen. Mario Bulat beginnt zu ermitteln, aber tatsächlich scheint jeder schon mehr zu wissen als er ...
Unter der sinnlich und spannend erzählten Handlungsebene des Romans öffnen sich faszinierende historische, kulturgeschichtliche und literarische Echoräume.
Zwar sei der Handlungsort des Romans nur eine Provinzstadt, sagt Tobias Lehmkuhl im Deutschlandfunk: „Aber auch in Split ist der Sturm zu spüren, der in Europa aufzieht, ein Sturm, der so gewaltig ist, dass ein kleiner kroatischer Kommissar ihn mit Abwarten und Gulaschessen nicht aufhalten, ja ihn nicht einmal überschauen kann.“
Für das ehrenamtliche Engagement bei der Betreuung von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina ist sie mit der Ehrennadel der Stadt Münster ausgezeichnet worden, ihre Doktorarbeit hat sie über postmoderne Kriminalromane geschrieben, seit Jahren kuratiert sie für die Leipziger Buchmesse den „Focus Südosteuropa“, jetzt hat sie nach Dutzenden von literarischen Übersetzungen ihren ersten Roman vorgelegt. Am 10. Dezember wird die 1959 in Split geborene, seit 1987 in Münster lebende Alida Bremer um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus „Olivas Garten“ lesen; es ist eine Veranstaltung, die von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt wird.
Die Ich-Erzählerin – wie die Autorin heißt sie Alida und lebt ebenfalls seit langem in Deutschland – erfährt eines Tages, sie habe von ihrer Großmutter an der östlichen Adriaküste einen Olivenhain geerbt. Sie ahnt, was auf sie zukommen wird: eine zähe und zehrende Auseinandersetzung mit der kroatischen Bürokratie. Aber sie wird unterstützt von ihrem logistisch unerschütterlichen norddeutschen Ehemann. Die so vertrackten wie verheißungsvollen „Erbschaftsangelegenheiten“ führen sie heim in die Sehnsuchtslandschaft ihrer Kindheit und Jugend. Was ihr dabei bewusst wird, lässt sich mit dem Satz von William Faulkner beschreiben, den Christa Wolf ihrem Roman „Kindheitsmuster“ (1976) vorangestellt hat: "Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ Auch „Alida“ taucht ein in die Tiefe der Jahre und wird gewahr, wie die Geschichte ihrer Herkunftsfamilie durchsichtig wird für das Jahrhundert der Wölfe. Dem Roman ist ein „erzählendes“ Personenverzeichnis vorangesetzt, und in dem knappen Biogramm der Titelfigur ist der Plot bereits angedeutet: „Nachdem sie 1943 aus einem deutschen Lager zu Fuß nach Hause zurückgekommen ist, liegt sie nur noch auf der Ottomane und ist 1991 – als ein neuer Krieg ausbricht – verwirrt, da sie glaubt, in die Vergangenheit versetzt worden zu sein.“ Aber nicht nur, dass sie nicht von der Stelle rührt – sie hat auch ihre Sprache verloren. Es ist ein Phantasiegarten, in den sich die Traumatisierte hineinträumt. Über die Ururgroßmutter der Erzählerin reicht der Roman bis ins vorletzte Jahrhundert zurück, und mit Olivas Mutter – Paulina – ist der Roman auch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbunden. Alida Bremers Roman aber ist mehr als die familiengeschichtlich motivierte Besichtigung eines Zeitalters; unaufdringlich reflektiert er auch grundsätzlich das Verhältnis von Moral und Politik. Das wird bereits in dem Motto deutlich, das dem Roman vorangestellt ist. Es stammt von Sophokles und zitiert Antigones Opposition gegen ihren Vater Kreon, der den Leichnam ihres Bruders Polyneikes unbestattet „den Vögeln, sie lauern schon, zum üppigen Fraße lassen“ will. Und das hat jetzt sogar wieder einen Münsterbezug –