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Sibylle Lewitscharoff

„Vom Guten, Wahren und Schönen“ – unter diesem Titel sind die Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen erschienen, die Sibylle Lewitscharoff im Jahr 2011 gehalten hat. Eine dieser Vorlesungen trägt den Titel „Mit den Toten sprechen“. In ihr feiert sie den Roman „Die nachträglichen Memoiren des Bras Cubas“, den der brasilianische Schriftsteller Machado de Assis 1881 veröffentlicht hat. Von ihm bezieht Sibylle Lewitscharoff das Motto zu ihrem neuen Roman: „Aber was für ein Unterschied, wenn man tot ist! Was für ein Aufatmen!“ Am Freitag, den 25. Oktober 2019 wird die Büchnerpreisträgerin des Jahres 2013 sie um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei (Alter Steinweg 11, 48143 Münster) aus einem Buch lesen, das bereits im Titel die Perspektive andeutet, aus der es geschrieben ist: „Von oben“. Der Roman bestätigt, dass Sibylle Lewitscharoff, wie es einmal die Süddeutsche Zeitung geschrieben hat: eine „mit allen Wassern gewaschene Schleusenwärterin zwischen Diesseits und Jenseits“ sei.

Und so beginnt der Roman: „ Vor dem Tod. Nach dem Tod. Das sind zwei grundverschiedene Arten, die eigene Existenz zu erfahren und auf sie zu blicken. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich bin oben.“ Aus der Vogelperspektive blickt Sibylle Lewitscharoffs unbehauster Erzähler hinab auf sein eigenes Grab, die hinterbliebenen Freunde und Nachbarn, auf Fremdes und Vertrautes in der unter der Hitze stöhnenden Stadt. Körper- und willenlos driftet er durch den Himmel über Berlin, erscheint mal hier, mal dort, ein stiller Beobachter, Zeuge von Schönem und Schrecklichem, mit übernatürlicher Hör- und Sehkraft begabt, doch zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Seine Erinnerungen sind lückenhaft, seine Zukunft ist ungewiss. Was darf er hoffen, was muss er fürchten: Hölle? Fegefeuer? Himmlisches Paradies?

Furchtlos befragt Sibylle in ihrem neuen Roman unsere Gottes- und Seinsvorstellung, unsere Wahrnehmung von Ich und Welt, von Leben und Sterben. Am Ende dieser kühnen Seelenreise durch das Berlin der Gegenwart, in das Zwischenreich der Lebenden und Toten löst sich jede Ordnung auf: Sie mündet in eine fiebrige Apotheose, die eine überraschende Selbsterkenntnis bereithält …

In ihrem gleichzeitig mit dem Roman erscheinenden Band „Geisterstunde“ kehrt Sibylle Lewitscharoff die Perspektive um. In diesen „Essays zu Literatur und Kunst“ betrachtet sie – sehr lebendig – „von unten“ lauter Künstler und Dichter, die alle schon „oben“ sind. Das irdische Vergnügen der Autorin überträgt sich dabei schwerelos auf den Leser.




Von Abraham bis Eva, von Moses bis zum Satan: Mit neun Figuren aus Bibel und Koran haben sich die sprachmächtige Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff und der irakisch-deutsche Autor Najem Wali auseinandergesetzt: Am Dienstag, den 29. Mai 2018 werden sie um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei die „Streifzüge durch Bibel und Koran“ vorstellen, die jetzt unter dem Titel „Abraham trifft Ibrahîm“ erschienen sind. Beide Autoren gehen jenen biblischen Geschichten aus ihrer je eigenen Sicht nach, temperamentvoll, engagiert, auch augenzwinkernd. Mit dem geplagten Hiob fragen sie nach der göttlichen Gerechtigkeit, mit Jona, dem ängstlichen Wal-Reisenden, nach Mut und Toleranz, und so berühren sie mit ihrem Dialog zwischen den Weltreligionen die Krisengebiete unserer Zeit.

Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart als Tochter eines bulgarischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren, studierte Religionswissenschaften in Berlin, wo sie, nach längeren Aufenthalten in Buenos Aires und Paris, heute lebt. Für „Pong“ erhielt sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Es folgten die Romane „Der Höfliche Harald“ (1999), „Montgomery“ (2003) und „Consummatus“ (2006). Der Roman „Apostoloff“ wurde 2009 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. „Blumenberg“ (2011) stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. 2013 wurde Lewitscharoff mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen der Roman „Das Pfingstwunder“ (2016) und „Pong am Ereignishorizont“(2017). Sibylle Lewitscharoff ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Berliner Akademie der Künste. 2013/14 verbrachte sie ein Jahr als Stipendiatin in der Villa Massimo in Rom, danach war sie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

Najem Wali, 1956 im irakischen Basra geboren, flüchtete 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs nach Deutschland. Heute lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin. Er war lange Zeit Kulturkorrespondent der bedeutendsten arabischen Tageszeitung Al-Hayat und schreibt regelmäßig u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und Die Zeit. Zuletzt erschienen sein Roman „Bagdad Marlboro“ (2014), für den er mit dem Bruno-Kreisky-Preis 2014 ausgezeichnet wurde, sowie unter dem Titel „Bagdad“ seine „Erinnerungen an eine Weltstadt“ (2015), Es folgten „Im Kopf des Terrors“ (2016) sowie Die Balkanroute: Fluch und Segen der Jahrtausende (2017), und in diesem Frühjahr kam der Roman „Saras Stunde“ heraus. Von September 2016 bis August 2017 war Najem Wali Grazer Stadtschreiber.

Einer der „Streifzüge“ von Sibylle Lewitscharoff und Najim Wali gilt einer hochdramatischen Szene: Ein Vater beugt sich über den wehrlosen Jungen, das Messer blitzt in seiner Hand – da befiehlt ihm im letzten Moment ein Engel, statt des eigenen Sohnes einen Widder zu opfern. Die biblische Geschichte von Abraham und Isaak ist bekannt. Dass sie dem Philosophen Kierkegaard eine schlaflose Nacht am Berliner Gendarmenmarkt bescherte, in deren Verlauf ihm eine göttliche Maus erschien, um Fragen der Barmherzigkeit zu erörtern – das weiß nur Sibylle Lewitscharoff. Was wiederum der Koran aus diesem Stoff macht, wie er Isaak auf einen der hinteren Ränge verweist und dafür Abrahams Erstgeborenen Ismail hervorhebt, davon erzählt uns Najem Wali.



Dan Browns Roman „Inferno“ und der gleichnamige Blockbuster mit Tom Hanks, aber auch Ralph Loops aktueller Dokumentarfilm „Botticelli Inferno“ (am 13.11. um 11 Uhr im Schlosstheater) – und erst recht der neue Roman der Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff erweisen auf ihre je eigene Weise einem Dichter ihre Reverenz, der vor gut 750 Jahren in Florenz geboren worden ist: Dante Alighieri. Es ist insbesondere seine zwischen 1307 und 1320 verfasste „Commedia“, deren Titel nach Dantes Tod von Giovanni Boccaccio um das Attribut „Divina“ erweitert worden ist. Als „Göttliche Komödie“ liegte diese aus 100 Gesängen bestehende Verserzählung über Hölle (Inferno), Fegefeuer (Purgatorium) und Himmel (Paradiso) gerade hierzulande in zahllosen Übersetzungen vor; es gibt sogar eine Fassung (von Karl Willeke) in sauerländischem Platt. Am Freitag, den 18. November 2016 wird Sibylle Lewitscharoff um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus ihrem neuen Roman lesen, der auf die allerlewitscharoffste Weise von einem internationalen Dante-Kongress erzählt.
Hatte in ihrem letzten Roman – „Blumenberg“ – ein einzelner Gelehrter im Mittelpunkt gestanden, sind es jetzt renommierte Dante-Philologen aus aller Herren Länder, die im altehrwürdigen Saal der Malteser auf dem römischen Aventin tagen, mit Blick auf den Petersdom. Gegenstand des Kongresses ist die „Göttliche Komödie“, Dantes realismusgetränkter Einblick in die Welt nach dem Tod. Einer der eifrig Debattierenden ist Gottlieb Elsheimer, Frankfurter Romanist und nach eigener Einschätzung eher ein Kandidat fürs Fegefeuer als fürs Paradies, ein Fachmann freilich, der sich in „allen“ deutschen Übersetzungen auszukennen scheint und die jeweils treffendere Version zitieren kann. Es ist ein Kongress, der im Jahr 2013 stattfindet und fast gegen seinen Willen offen ist für die „infernalische Gegenwart“ und die nicht weniger infernalische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aber der Roman trägt den Titel „Das Pfingstwunder“, und tatsächlich ist es ein wahrlich „pfingstliches“ Vorkommnis“, von dem Sibylle Lewitscharoff ihren einsamen Gelehrten Elsheimer erzählen lässt, bis die Sprache mit ihm durchgeht. Leichtfüßig und wortgewaltig spaziert Sibylle Lewitscharoff mit uns durch Hölle und Himmel. Die Hauptrollen in ihrem neuen Roman spielen die größte „Komödie“ der Weltliteratur, das Seelenheil von 34 Dante-Gelehrten sowie ein anrührender Erzähler, der so sehr um Bodenhaftung bemüht ist, dass ihm ein Wort wie »Wunder« nicht leicht über die Lippen kommt. Der Roman beginnt mit Sätzen, die sich wie die Antwort auf eine Frage anhören: „Nein. In meinen Kindertagen ja, seither nein.“ Und letzten Endes handelt er davon, wie diese Antwort ihre Gültigkeit verliert. Roman Bucheli in der Neuen Zürcher Zeitung hat sich betören lassen. „Sibylle Lewitscharoff hat einen Roman geschrieben, der die unendlichen Pirouetten einer gelehrten Dante-Exegese vorführt und daraus eine Apotheose der Kunst hervorgehen lässt, die den Leser teilhaben lässt an den Verzückungen der Dante-Forscher. Mehr noch: Das Hochamt des Lesens und Deutens auf dem Aventin öffnet auch dem Leser alle Sinne: Mit den Wissenschaftlern wird auch er wieder Kind, liest, als wäre es zum ersten Mal, Wörter verwandeln sich in Musik, der Roman wird zur gewaltigen Partitur.“



Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2011/Shortlist
Vor zweieinhalb Jahren hat sie beim Literaturverein Münster aus einem Roman gelesen, der bereits die Keimzelle ihres neuen Buches enthielt. In „Apostoloff“ war zu lesen gewesen: „Warum ist Hans Blumenberg so ein aufregender Philosoph? Er war ein Löwenphilosoph. Nachts hatte er einen versöhnlichen Löwen neben seinem Schreibtisch liegen, der’s aber doch auf die eine oder andere Kraftprobe ankommen ließ. Blumenberg ist an seinem Löwen gewachsen.“ Jetzt ist der Roman erschienen - und hat als Titel den Namen des besagten Philosophen, der von 1970 bis 1985 an der Westfälischen Wilhelms Universität lehrte. Am Mittwoch, den 28. September wird Sibylle Lewitscharoff um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus ihrem Roman „Blumenberg“ lesen – und kehrt damit abermals in die Stadt zurück, in der 1994 ihr literarisches Erstlingswerk erschien: "36 Gerechte" (Galerie Steinrötter).

Die 1954 in Stuttgart geborene, heute in Berlin lebende Autorin Sibylle Lewitscharoff hat nach „Apostoloff“ zahlreiche Literaturpreise erhalten: 2010 den Berliner Literaturpreis, in diesem Jahr den Kleist-Preis, den Ricarda-Huch-Preis sowie den Marieluise-Fleißer-Preis. Und sicherlich ist auch „Blumenberg“ preiswürdig wie derzeit kaum ein zweiter deutschsprachiger Roman. Ihn hat die Autorin selber so zusammengefasst: „'Blumenberg' ist die moderne Heiligenvita eines Philosophen, der Nacht für Nacht in seinem Studierzimmer Besuch von einem Löwen erhält. Der Löwe wird allmählich zu seinem ständigen Begleiter - während der Vorlesung liegt er prachtvoll im Mittelgang des Hörsaales, von den Studenten allerdings unbemerkt. Nur eine sehr alte Dame, eine Konventualin aus dem Kloster Isenhagen, die Blumenberg auf der Straße trifft, erkennt den Löwen auf den ersten Blick, erkennt in ihm den von alters her mit süßer Rhetorik und frommer Gebärde gezähmten König der Tiere. Auf verschlungenen Wegen wandern auch vier Blumenberg-Schüler - drei Männer und eine Frau - durch den Roman, bis das Schicksal sie mit dem Meister und dem Löwen in einer lichten Höhle vereint." Hans Blumenberg, 1920 in Lübeck geboren, zur Zeit des Nationalsozialismus als „Halbjude" verfolgt, starb 1996 in Altenberge. Er war einer der großen, auch in „schöngeistiger“ Literatur ungewöhnlich belesenen Philosophen der Gegenwart. Titel seiner Bücher wie „Schiffbruch mit Zuschauer“ oder „Die Lesbarkeit der Welt“ sind zu geflügelten Worten geworden. Nach seinem Tod erschienen etliche Arbeiten aus seinem Nachlass, unter anderem der Band „Löwen" - die Wunderkammer eines Motivs, das Sibylle Lewitscharoff in ihrem Roman lustvoll aufgegriffen hat, um einem der großen „Weltbenenner“ ein literarisches Denkmal zu errichten.

Felicitas von Lovenberg in der F.A.Z. hat „Blumenberg“, der auf der Shortlist zum deutschen Buchpreis steht, als einen der „wundersamsten“ Romane dieser Saison bezeichnet. Wie er scheinbar disparate Teile zu einer unmittelbar einleuchtenden, eigensinnigen und beglückenden Einheit führe, Witz, Zartheit und Tragik in sich vereine und dazu das eigene erzählerische Handwerk lässig reflektiere, das zeige die imponierende Pranke dieser Autorin: „Sibylle Lewitscharoff gibt in ‚Blumenberg’ Münster einen neuen Löwen.“




Ihr erstes Buch ist in Münsters erschienen: Unter dem Titel „36 Gerechte“ hat der Münsteraner Galerist Klaus Steinrötter im Jahr 1994 einen bibliophilen Band herausgebracht, bei dem man nicht wusste, was man mehr bewundern sollte: die bizarrtesten Scherenschnitte oder die eigensinnlichsten Prosastücke. Am Mittwoch, den 22. April wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Sibylle Lewitscharoff aus ihrem neuen Buch lesen, das vor ein paar Wochen mit dem „wirkungsvollen“ Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und bereits enthusiastisch rezensiert worden ist: „Apostoloff“.

Sibylle Lewitscharoff – 1954 in Stuttgart geboren als Tochter eines bulgarischen Vaters und einer deutschen Mutter, heute in Berlin lebend – erzählt in ihrem neuen Roman die autobiographisch schattierte Geschichte einer Reise zweier Schwestern durch Bulgarien. Im ersten Teil ihrer Tour hatten die beiden Frauen zu einem pompösen Limousinenkonvoi gehört, der die Leichen von 19 Exilbulgaren in ihre Heimat überführte – darunter ihren Vater, der durch Selbstmord aus dem Leben geschieden war. Im zweiten Teil kutschiert sie ein Ruben Apostoloff durch sein Land, das „Vater-Land“ der beiden Schwestern. Und diese Reise entwickelt sich zu einer flammend unversöhnlichen Abrechnung sowohl mit dem Vater als auch mit dem heutigen Bulgarien. Als es dann an die Rückreise geht, kommt es zu einer surrealen Wiederbegegnung. Auf der Überholspur schiebt sich an dem Auto, in dem die Schwestern sitzen, ein Geländewagen vorbei, am Steuer der Vater, neben ihm die Mutter - und im Fond, „regungslos und wie gemalt“, die beiden Töchter: „Ich aber bewahre kühlen Mut. Immerhin habe ich es geschafft, länger zu leben als der Vater und ein freundlicheres Leben zu führen als die Mutter. Nicht die Liebe vermag die Toten in Schach zu halten, denke ich, nur ein gutmütig gepflegter Haß.“ Aber damit ist noch nichts gesagt über das atemberaubende sprachschöpferische Kunstwerk, das Sibylle Lewitscharoff „vollbracht“ hat(um auf ihren vorletzten Roman „Consummatus“ anzuspielen). Der mit allen Nabokov-Wassern gewaschene Michael Maar kommt im „Rheinischen Merkur“ zu dem Ergebnis, der Roman sei ein Geschenk an die Weltliteratur, ein Buch, das überleben werde, selbst wenn der bulgarische Markt noch Scherereien verspreche.