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Reiner Stach

Eine der vor mehr als einem halben Jahrhundert erschienenen „Lieblosen Legenden“ von Wolfgang Hildesheimer trägt den damals nonkonformistischen Titel „Ich schreibe kein Buch über Kafka“. In den Jahrzehnten danach hat es zahllose Bücher über Kafka gegeben, und doch hat der Literaturwissenschaftler (und Schachspieler und Marathonläufer) Reiner Stach recht, wenn er Mitte der 1990er Jahre feststellte, dass es zwar eine Flut von Sekundärliteratur, aber trotz des zunehmenden Wissens über die Lebensumstände Kafkas wenige gründliche biographische Versuche gegeben habe. Stach selber hat sich an die große Kafka-Biographie gewagt und zwischen 2002 und 2014 drei voluminöse Bände vorgelegt: über die „Jahre der Entscheidungen“ (1910-1915), die „Jahre der Erkenntnis“ (1916-1924) und schließlich über die „Frühen Jahre (1883-1910). Aus diesem zuletzt erschienenen Band wird Reiner Stach am Dienstag, den 24. März 2015 um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei lesen – über einen Autor also, der in diesem Jahr nicht nur in NRW abiturrelevant ist …

Mit diesem Kafka Projekt hat der 1951 geborene Reiner Stach im Jahr 1996 begonnen, und dass es dann doch zu Ende geführt werden konnte, ist der Jan Philipp Reemtsma-Stiftung zu danken. In einem Rückblick auf sein Werk hat Stach den Anspruch und den Charakter der drei Bände so bestimmt: „Die Kafka-Biographie folgt der Maxime, dass alle angeführten Fakten, auch unscheinbare Details, entweder belegbar oder ‚nach menschlichem Ermessen‘ authentisch sein müssen. Wissenslücken oder bloße Wahrscheinlichkeiten sind also kenntlich zu machen, fiktionale Ergänzungen sind tabu.“ Dennoch bediene er sich bestimmter Erzähltechniken, die aus der fiktionalen Literatur bekannt sind. Dass indes seine Biographie weder eine positivistische Lebensbeschreibung noch ein biographischer Roman sei, werfe trotzdem die Frage auf, ob sich der Anspruch auf Wahrheit und der Anspruch sprachlich durchgeformten Erzählens nicht doch hin und wieder aneinander reiben: „Das kann jedoch nicht global, sondern nur anhand einschlägiger Passagen beantwortet werden. Gerade bei Kafka ist die Verschränkung ‚inneren‘ und ‚äußeren‘ Erlebens oft so komplex, dass die Idee, es gäbe hier so etwas wie eine ‚adäquate‘ Form der Darstellung, ohnehin verfehlt ist.“

Manfred Schneider charakterisiert in der Neuen Zürcher Zeitung nicht nur Kafka, sondern auch den Biographen: „Kafka wurde zu Lebzeiten keine prominente Figur, denn sein Schreiben scheiterte an den unmöglichen Anforderungen des Dichters an sich selbst. Dafür ist er vermutlich der bekannteste Autor des 20. Jahrhunderts, derjenige, über den am meisten geschrieben wurde und wird. Aber nur von wenigen Berufenen. Stachs Kafka-Biografie ist das Meisterwerk eines Berufenen, der ohne Eitelkeit in minuziösen Beobachtungen und in leichtem und schwingendem Ton erzählt. Von ihm stammen vielleicht darum die aufschlussreichsten Passagen zur Schwimmleidenschaft Kafkas, der, wie man weiß, auch die Nachricht vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs in der ‚Schwimmschule‘ verdaute.“