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Brigitte Kronauer

Der eigensinnigste deutschsprachige Roman dieses Herbstes hat sich nicht nur dem Gewäsch um den deutschen Buchpreis, sondern auch dem Gewimmel auf der Frankfurter Buchmesse entzogen. Er erschien erst in den letzten Oktobertagen, aber dann fand er eine mal enthusiastische, mal eine leicht verstörte Aufmerksamkeit; aktuell steht er auf Platz 2 der SWF-Bestenliste Am Donnerstag, den 14. November 2013 wird Brigitte Kronauer um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus ihrem magnum opus lesen, dem mehr als 600 Seiten umfassenden Roman „Gewäsch und Gewimmel“. Es ist ein Roman, der aufs Schwereloseste demonstriert, wie hellsichtig die Jury, die Brigitte Kronauer vor zwei Jahren den Jean-Paul-Preis verlieh, auch bereits über diesen Roman geurteilt hat, der noch gar nicht erschienen war: „Charakteristisch für Brigitte Kronauers episches Werk sind Erfindungskraft, Humanität und ein Humor, der die oft eigenwilligen Figuren ihrer Bücher mit Liebe begleitet und niemals verrät.“ Die 1940 in Essen geborene Autorin hat ihrerseits in einer Rede zum diesjährigen 250. Geburtstag von Jean Paul gesagt: „Es geht bei Jean Paul – und das habe ich an ihm von früh auf am meisten geliebt – wie wohl kaum bei einem zweiten Autor, um eine Perspektive auf die Welt aus extremer Position. Sie ist ihm die einzig erträgliche. Es geht um den Wechsel, das Hin und Her, um den manchmal steilen Aufstieg und Absturz, um die Bewegung aus der sehr kleinen, sehr dürftigen Stube hoch zu einem strahlenden Universum und zurück. Die Einbildungskraft besitzt die Fähigkeit, beide Bereiche miteinander zu verklammern, ohne sie einander anzugleichen.“ Diesem Maßstab ist Brigitte Kronauers Roman gewachsen. Es gibt keine Prosagattung, die in dieser tryptigonalen Wunderkammer von Roman nicht vorkäme – : die Kalendergeschichte und das Rätsel, die Sage und der Zeitungsbericht, die Anekdote und der Aphorismus. Ein Roman, der formal und inhaltlich durchaus in der Tradition von Jean Pauls „Ideengewimmel“ – und, erst recht – Pieter Brueghels „Wimmelbildern“ steht, deren feine Dramaturgie Brigitte Kronauer an dem zunächst so unübersichtlichem Gemälde „Triumph des Todes“ in einem brillanten Essay exemplarisch freigelegt hat. Zwei Figuren sind es, die in das chaotische Welttheater eine Fasson bringen, so „wie das Durcheinander der Eisenfeilspänchen vom Magneten geordnet wird“: zum einen die „Krankentherapeutin“ Elsa Gerlach mit ihren Patienten und Patientinnen, zum anderen Hans Scheffer, charismatisch erotisierender Guru eines Renaturierungsprojektes, mit seinen Adepten und Aposteln. Aber prägnante Figuren sind auch Elsas Lieblingspatientin Luise Wäns, der „nimmersatte“ Dichter Pratz, der unglaubliche Priester Dillenburg – und der Westfale Erwin, ein umfassend informierter Spezialist für den Weltuntergang. Das vorletzte Segment des Romans evoziert ein monumentales „abendländisches“ Gemälde, das Motive der Weihnachtsgeschichte und des Jüngsten Gerichts miteinander verbindet. Dieser Roman, so Stefan Kister in der Stuttgarter Zeitung, sei ein Werk vollendeter Reife: „Die bisweilen raue Schale des Sechshundert-Seiten-Trumms birgt wie ein Granatapfel unzählige fleischig ummantelte Kerne. Wer damit umgehen kann, gewinnt daraus ein stimulierendes Elixier der Erkenntnis, andere werden sich die Zähne ausbeißen.“ Aber wie heißt es bei Samuel Johnson, den der Roman zitiert: „Wenn die Gäste sich wie zu Hause fühlen, hätten sie ja gleich zu Hause bleiben können.“




Das Kulturamt der Stadt Münster, die Agentur Communarte und der der Literaturverein Münster sind für ein Programm verantwortlich, das im Wechsel von kabarettistischen und literarischen Veranstaltungen seit Mitte Januar unterhaltsame Ausblicke auf die skulptur projekte münster 07 eröffnet. Am Donnerstag, den 5. April wird um 20 Uhr in der projekt bar (Rothenburg 30) eine der prominentesten deutschsprachigen Autorinnen lesen: Brigitte Kronauer, die im Jahr 2005 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet worden ist. Die 1940 in Essen geborene, heute in Hamburg lebende Schriftstellerin hat sich immer wieder essayistisch mit Werken der bildenden Kunst auseinandergesetzt. Aus ihren „Versuchen“ wird sie jetzt in Münster lesen. Dass sie in das Zentrum ihres Werks gehören, zeigt auch die Struktur ihres Prosabuches „Die Einöde und ihr Prophet“. Es ist seinerseits eine Art Triptychon, dessen mittlere „Tafel“ sich acht Gemälden widmet, so Pieter Brueghels „Triumph des Todes“, Geertgen tot Sint Jans' „Johannes der Täufer in der Einöde" oder Matthias Grünewalds „Auferstehung Christi“. Umgeben sind diese Bildbetrachtungen von Erzählungen biographischen Charakters.

Der Band beginnt mit einer Prosastück, das auf eine symphonische Weise drei Lebensläufe zusammenführt, ein Bogen schließt sich in der letzten Geschichte mit dem bezeichnenden Titel „Ja oder Nein oder Zuendebringen des Selbstporträts“. Zwischen diesen biographischen und verdeckt autobiographischen Expertisen und den Bildbetrachtungen bestehen zahlreiche Korrespondenzen. Vor einigen Wochen hat Brigitte Kronauer „angesichts“ des Gemäldes „Heiligengeistfeld" von Heiner Altmeppen einerseits die Hemmschwelle bestimmt: „Über Bilder zu schreiben erscheint mir, obschon ich es ja gelegentlich tue, immer etwas fragwürdig. An Werken der bildenden Kunst beeindruckt mich doch gerade die hartnäckige Schweigsamkeit des Visuellen, jene Art von Sichtbarkeit, die eine Gegenmacht ist zu den Wörtern und für die das Indiskrete jeder Interpretation vor allem einen Versuch der Zersetzung ihres stummen, vollständig im Optischen ruhenden Wesens darstellt.“ Aber dann auch den Lohn, der sich einstellt: „Im Hinsehen regt sich in uns ein verwandtes, von Gewohnheiten zugedecktes Gefühl. Wir glauben plötzlich, solche Ausnahmezustände für Augenblicke an uns selbst zu kennen und wiederzuentdecken, flüchtige, erlesen schutzlose Momente mit einer Intensität von Gefühl und Anblick, die im Leben nie lange andauern. In ‚Heiligengeistfeld‘ sind sie, wie nur die Kunst es kann, komprimiert und geradezu: verewigt.“


Drei der bekanntesten deutschsprachigen Gegenwartsautoren haben in diesem Jahr Bücher vorgelegt, bei denen es sich weder um einen „klassischen“ Roman noch um eine einfache Sammlung von Erzählungen handelt. Vielmehr sind es Prosastücke, die sich in Echoräumen oder Spiegellabyrinthen „bewegen“. Den Anfang machte Daniel Kehlmann mit „Ruhm“; die beiden anderen sind Judith Hermann und Brigitte Kronauer. Sie beide präsentiert innerhalb einer Woche der Literaturverein Münster.

Am Dienstag, den 27. Oktober liest Brigitte Kronauer, Büchnerpreisträgerin des Jahres 2006, um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus „Zwei schwarze Jäger“; am Dienstag, den 3. November, ebenfalls um 20 Uhr in der Stadtbücherei, wird Judith Hermann aus „Alice“ lesen. Im ersten Fall handelt es sich um ein romantisches Welttheater, im zweiten um ein impressionistisches Kammerspiel.
Im Mittelpunkt der ersten Erzählung von Brigitte Kronauer, geboren 1940, steht die Schriftstellerin Rita Palka. Sie ist eingeladen „ins Dunkel des Städtchens W., in der angeblich verträumten Mittelgebirgslandschaft E. des verschlafenen Bundeslandes I.“ Vor kleinem Publikum, das im Lauf des Buches kaleidoskopartig „zerlegt“ und wieder zusammengefügt wird, liest sie die Geschichte von den „Zwei schwarzen Jägern“, und es ist eine hinreißende Meisterleistung, wie Brigitte Kronauer diese Erzählung immer wieder verschränkt mit den aktuellen Wahrnehmungen der Dichterin sowie deren nächtliche Erinnerungen an diese Lesung. Die Grenze zwischen der Innenwelt einer Erzählung und der Außenwelt der Lesung wird durchlässig, als Rita Palka den zweiten Text – „Die Grotte“ - nicht mehr abliest, sondern improvisiert, ihn dem „andächtig dämmernden rudimentären Haus- und Verlegenheitspublikum“ – das freilich aus lauter unerlösten Glückssuchern besteht - gleichsam ins Stammbuch schreibt.
Bei Judith Hermann, geboren 1970, handelt jede der fünf Geschichten vom Sterben eines Mannes, der Alice, der Titelheldin, nahe gestanden hat. Aber in Wirklichkeit handeln Hermanns Erzählungen nicht vom Tod, sondern von der beiläufigen bis bestürzten Entdeckung des Weltverlustes, der mit jedem Tod – oder dem plötzlichen Verschwinden eines Menschen - verbunden ist. Oder umgekehrt: Jeder Tote steht noch einmal für den unaufdringlichen Reichtum der Welt. Judiths Hermann sind durchgearbeitet bis ins Detail der Interpunktion, der inventarisierenden Ellipsen, der alltagssprachlichen Verschleifungen - : ein Erzählen, das schwerelos vom Schwersten erzählt.