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Richard Swartz

Im ersten Halbjahr 2005 hat der Literaturverein Münster - so auch auf dem Lyrikertreffen - Autoren aus zahlreichen europäischen Ländern vorgestellt. In der letzten Lesung vor der Sommerpause wird ein Autor zu Gast sein, der über europäische Menschen geschrieben hat. Am Dienstag, den 14. Juni wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei der schwedische Schriftsteller Richard Swartz aus seinem neuen Werk lesen, dessen Titel "Adressbuch" in einer merkwürdigen Spannung zu seinem Untertitel steht: "Geschichten aus dem finsteren Herzen Europas". In einem Vorwort erklärt der 1945 in Stockholm geborene Autor, dass beide Titel eine übertragene Bedeutung besitzen. Die wichtigsten Adressen seien jene, die nur in der Erinnerung notiert worden seien: "Mitunter lesen wir nicht die Adressen, sondern sie lesen uns. Sie halten uns fest in einer Geographie, die auf der Karte zu suchen sich nicht lohnt, und doch sind diese Adressen das einzige, worin wir jetzt zu Hause sind, auch wenn sie nicht mehr für ein Haus stehen, sondern in unserem Bewusstsein nur als ein Tonfall, eine Geste oder ein Schatten existieren."

Viele Jahre lang hat Richard Swartz für die große schwedische Tageszeitung "Svendska Tagbladet" über die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen Osteuropas und Südosteuropas berichtet, und auch deutsche Zeitungen haben seine Reportagen und Hintergrundberichte gedruckt. Sein erstes Buch erschien vor acht Jahren unter dem Titel "Room Service". Es trug ebenfalls die Gattungsbezeichnung "Geschichten ". Dass Richard Swartz recht eigentlich ein Erzähler ist, machte vollends sein Roman "Ein Haus aus Istrien" (1999; dt. 2001) deutlich. Richard Swartz gelingt das Kunststück, uns Personen vorzustellen, die zugleich repräsentativ und unverwechselbar sind. So deutlich sie jeweils für typische europäische Verwerfungen stehen - Swartz verzichtet vollständig darauf, sie für irgendeine Idee zu vereinnahmen. In einem Beitrag für den Band "Europa schreibt" hat Richard Swartz auf eine höchst poetische Weise sein Interesse an Europas "nahem Osten" artikuliert. Er grenzt das "europäische Licht" ab von dem afrikanischen, dem südamerikanischen und dem asiatischen Licht: "Unser Licht bewirkt hingegen, dass wir hier sehen, was wir gerade vor der Nase haben. Alle Bedeutung wird in den Vordergrund verlegt. Das, was nah bei uns ist, also das Sichere und Vertraute (oder was so sein sollte), wird wichtiger als der größere Zusammenhang (…) Unterdessen geschehen in unserem europäischen Hintergrund die erschütterndsten Dinge. Die Asche wird von neuem gewendet, neue Gräber werden ausgehoben, aber unser europäisches Licht ist so schwach, dass es nicht für das reicht, was wir ohnehin nicht sehen wollen." In seinen so einlässlichen wie nachhaltigen Geschichten überwindet Richard Swartz diese zentraleuropäische Lichtscheu - und leistet so einen wunderbaren Beitrag zu der eigentlichen europäischen Verfassung.