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Margriet de Moor
Wer den Titel des neuen Romans von Margriet de Moor nur ein wenig undeutlich ausspricht, wird mit der Gegenfrage rechnen müssen: „Mélodie“ oder „Malady“, und für beide Versionen gibt es Ohrwürmer aus der Geschichte des internationalen Schlagers. Musik oder Mühsal, Lust oder Last, das eine klingt im anderen mit. Gelegenheit, diese Interferenz nachzuvollziehen, gibt eine Veranstaltung des Literaturvereins. Am Mittwoch, den 2. April 2014 wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei die niederländische Schriftstellerin Margriet de Moor aus ihrem neuen Roman „Mélodie d'amour“ lesen.Der Roman besteht aus vier miteinander verknüpften Liebes- und Liebesleidgeschichten. Gustaaf liebt seine Exfrau Atie noch immer, auch wenn er jetzt mit Marina zusammenlebt und Atie ihm seine Untreue nie verziehen hat. Sie wurde schwer krank, und schließlich steht er mit seinem Sohn Luuk an ihrem Sarg. Cindy liebt Luuk und glaubt, dass sie mit ihm durch höhere Mächte verbunden ist. Sie ahnt, dass er seine Frau Myrte nicht verlassen wird, aber sie stellt ihm auch dann noch wie eine Verrückte nach, als er nichts mehr von ihr wissen will. Luuks Affäre mit Roselynde scheint dagegen voller Harmonie. Roselynde will endlich Frieden finden, die große Liebe und die Tragödie ihres Lebens liegen hinter ihr. Und auch Luuks Frau Myrte hatte eine frühe, unvergessene Leidenschaft, von der ihr Mann nichts ahnt.
Der unbeirrbaren Autorität der Liebe erweist Margriet de Moor ihre Reverenz, indem sie dem Erklärungsverzicht folgt, den das Motto ihrem Roman nahelegt. Es stammt von dem französischen Schriftsteller Francis de Miomandre (1880–1959) und lautet: „Das Wie ist nicht dasselbe wie das Warum“. In einem Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ hat Margriet de Moor, die Klavier und Gesang studiert hat, eine musikalische Dimension ihres Ronans beschrieben. „Wenn ‚Mélodie d’amour‘ ein Musikstück wäre, dann wäre die erste Erzählung sicher ein Trauermarsch: Ein Mann will seine verstorbene Ex-Frau ein letztes Mal sehen. Im zweiten Teil geht es um eine Stalkerin, die mit Verve ihren ehemaligen Liebhaber verfolgt. Das hat Tempo, ist also ein Allegro. Es folgt eine Kombination aus Presto und Grave. Im vierten Teil geht es unter anderem um eine Wanderung. Das ist ein Andante, ein Gehen.“ Aber dann fällt sie die 1941 geborene Autorin sich selber ins Wort: „Doch jetzt analysiere ich schon mein eigenes Buch! Während des Schreibens habe ich das nicht getan. So arbeite ich nicht.“ Sigrid Löffler im Deutschlandradio: „Margriet de Moor erzählt mit leichter Hand, mit Nachsicht und Sympathie für ihre Figuren, die eher Opfer ihrer Liebeswahl sind, als wirklich selbst zu wählen. Sie psychologisiert nicht, sie pathologisiert nicht, sie erklärt nicht, sie urteilt nicht. Sie erzählt einfach - mit ihrer ganzen Lebensklugheit und Erfahrung und mit leisem Humor. Ein wunderbares Buch ist ihr dabei gelungen.“
Der Literaturverein Münster eröffnet sein Jahresprogramm mit einer niederländischen Autorin, die sich in den letzten Jahren Buch für Buch in die Weltliteratur hineingeschrieben hat. Am Dienstag, den 22. Februar 2011 wird Margriet de Moor um 20 Uhr im Bürgersaal der Bezirksregierung, Domplatz 1 – 3 aus ihrem neuen Roman „Der Maler und das Mädchen“ lesen. Es ist ein Roman, der nicht mehr erzählt als die Geschichte zweier kaum spielkartengroßer Zeichnungen, die im Metropolitan Museum of Art in New York hängen. Es ist ein Roman, der nicht weniger erzählt als die Geschichte eines kaum achtzehnjährigen Mädchens „mit Migrationshintergrund“, das im Amsterdam des 17. Jahrhunderts einen Mord begeht und mit dem Tode bestraft wird. Und die Geschichte des Malers, der den Leichnam dieses Mädchens „nach dem Leben“ mit Feder und Tusche zu Papier bringt (so zärtlich und so genau, wie er zuvor seine Frau porträtiert hat).
Es ist ein einziger Tag – der 3. Mai 1664 – an dem zwei Lebensläufe sich kreuzen: der eines Menschen, der das Leben noch vor sich gehabt hätte, und der eines Menschen, der bereits seinem Ende entgegensieht. Aber Margriet de Moor erzählt alles andere als einen historischen Roman – so staunenswert sie die Sozialgeschichte und Kulturgeschichte eines vergangenen Jahrhunderts sinnlich vergegenwärtigt.
Jeder Mensch trage die künftigen Fakten seines Lebens vom ersten Atemzug an in sich, das ist ihre „anthropologische“ Überzeugung. Aber es ist auch ein Gesetz, das ihre Erzählung beherrscht. Das alte Amsterdam mit Pest und Profitgier wird durchsichtig für das neue, und da, wo jetzt Wohnsiedlungen entstanden sind, war einst eine Mörderin auf einem Galgenfeld zur Schau gestellt worden, „um im Laufe der Jahreszeiten von der Lufft unt den Vögheln verzehrt zu werden“ (kaum anders als „damals“ in Münster die Leichen der Wiedertäufer). Margriet de Moors Roman ist eine Art Hologramm: „Elsje denkt, dass sie sich auf dem Weg in eine Stadt befindet, die keine Stadt ist, sondern eine Stimme, eine Art des Auf-sie-Einredens, eine Erzählung, in die sie zitiert worden ist. Wie sollte sie ahnen, dass sie in Wirklichkeit nicht auf dem Weg in eine Erzählung ist, sondern in eine Zeichnung, Tusche auf Papier?“ Elsje Christiaens aus Jütland – anders als der Maler hat sie in dem Roman ihren wirklichen Namen. Den des Malers spart Margriet de Moor aus, obwohl alles darauf schließen lässt, dass es sich um niemand anderen als Rembrandt handelt. Auf diese Weise steht gewissermaßen nicht ein historisch „verdinglichter“ Meister vor uns, sondern eine biographisch verkörperte, also lebendige Methode der Wahrnehmung und Gestaltung: „Der Maler betrachtete die Zeichnung und stellte fest, dass sie schön geworden war, genau was er wollte, nur das.“
Solche „Plots“ hat es in der deutschsprachigen Weltliteratur nur bei Heinrich von Kleist gegeben, zum Beispiel in der Erzählung „Das Erdbeben in Chili“. Die auch hierzulande gefeierte niederländische Autorin Margriet de Moor ist „ebenfalls“ so tollkühn gewesen, zugleich von einer ungeheuren Naturkatastrophe zu erzählen und von der Macht der Gefühle. Ihr Roman, der im Niederländischen den lakonischen Titel „De Vertronkene“ (Die Ertrunkene) trägt, erscheint in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Sturmflut“. Vordergründig ist es ein Roman „über“ die niederländische Hochwasserkatastrophe, der im Jahr 1953 fast 2000 Menschen zum Opfer fielen. Alles beginnt damit, dass am gleichen Tag, als das Unwetter sich anbahnt, Armanda ihre Schwester Lily bittet, einen Besuch bei ihrem Patenkind in Zeeland zu übernehmen. Unterdessen will sie selbst in Amsterdam bleiben, Lidys Tochter hüten und mit Lidys Mann auf eine Party im Familienkreis gehen. Als Lidy mit dem Auto in Zeeland eintrifft, bricht das Unwetter aus. Und jetzt kommt Margriet de Moor mit ihrer unerhörten Konstruktion: Während Lidy vermisst wird – und das über Tage, Wochen, Monate, Jahre — versucht Armanda zu Hause das Leben ihrer Schwester zu „übernehmen“, eine andere Lebensgeschichte fortzuführen, als wäre es ihre eigene. Sie heiratet Lidys Mann, zieht das Kind groß und wartet zeit ihres Lebens darauf, dass ihre Schwester gefunden wird. Auf eine staunenswerte Weise ist Margriet de Moors Einbildungskraft beiden Lebensgeschichten gewachsen. „Ich wollte schon sehr lange einen Roman mit zwei Zeitsträngen schreiben“, sagt die Autorin: „einer, der nur kurz dauert, und einer, der ein ganzes Leben beschreibt. Die eine Hauptfigur erlebt innerhalb von sechsunddreißig Stunden ein Drama, die andere führt ein alltägliches Leben. Die Frage ist: Welches Leben ist das dramatischere? Als ich den Roman unter diesem Blickwinkel betrachtete, fiel mir das Schreiben plötzlich sehr leicht.“ Die „schmerzhafte Schönheit“, die ein führender niederländischer Kritiker dem Roman nachsagt, wird tatsächlich auf jeder Seite erfahrbar.