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F.C. Delius
Im Grunde wäre F.C. Delius gern ein Romantiker: „Bin aber nun etikettiert als literarischer Chronist der Gegenwart, als politischer Autor gar, überdies geadelt von Literatur-Prozessen bis hoch zum Bundesgerichtshof.“ Diese Wunschvorstellung äußerte er in seinem „Selbstporträt mit Schimpansen“, das er 2003 in einem Band mit dem Titel „Warum ich schon immer Recht hatte – und andere Irrtümer“ veröffentlichte. Wie gültig jene Einschätzung geblieben ist, lässt sich überprüfen, wenn der Büchnerpreisträger des Jahres 2011 aus seinem neuen Roman liest: „Die Liebesgeschichtenerzählerin“. Die Lesung findet statt am Mittwoch, den 27. April 2016 um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei. Tatsächlich hat sich der 1943 in Rom geborene, heute in Berlin lebende Autor in mehr als 30 Büchern aller literarischen Gattungen nicht nur als der politische Chronist der Bundesrepublik betätigt, sondern in Büchern wie „Der Königsmacher“, 2001, oder „Bildnis der Mutter als junge Frau“, 2006, auch als der „romantische“ Chronist seiner eigenen Herkunft.Eine Frau – Marie – hat sich für ein paar Tage frei gemacht von Pflichten, Mann und Kindern. Sie fährt im Januar 1969 von Den Haag über Amsterdam nach Frankfurt. Drei Liebesgeschichten aus den Zeiten der Kriege und Niederlagen gehen ihr durch den Kopf: ihre eigene, die ihrer Eltern, die einer Vorfahrin während der napoleonischen Kriege. Davon möchte sie erzählen, aber die Geschichten und Leben verflechten sich immer mehr: ein König, der die modernen Niederlande aufbaut; seine uneheliche Tochter, die in eine mecklenburgische Adelsfamilie gezwungen wird; ihr Urenkel, der als kaiserlicher U-Boot-Kapitän die roten Matrosen von Kiel überlistet, seiner schwarzen Seele entkommen möchte und zum Volksprediger wird; seine Tochter – die reisende Erzählerin selbst –, die ein gutes deutsches Mädel und trotzdem gegen die Nazis sein wollte und nun im Schreiben Befreiung sucht neben einem Mann, lächelnder Gutsbesitzerssohn und Spätheimkehrer, der sich allmählich von ihr entfernt. Eine erste schriftstellerische Publikation kann Marie bereits vorweisen: eine Biografie über die als Widerständlerin von den Nazis hingerichtete Pädagogin Elisabeth von Thadden.
Auch diesem neuen Roman von Friedrich Christian Delius liegt die bewegte Geschichte seiner eigenen Familie zugrunde. Er erzählt die Reise einer Frau zwischen Scheveningen, Heiligendamm und deutschem Rhein, eine Reise von fünf Tagen und durch ein ganzes Jahrhundert. Oliver Pfohlmann im „Berliner Tagesspiegel“ staunt darüber, „wie es dem gern als ‚Chronisten der Bundesrepublik‘ gerühmten Autor erneut gelingt, Zeitkolorit und Familiengeschichte zu einer eindrucksvollen erzählerischen Synthese zu bringen.“