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Wolf Wondratschek

Ein Buch ohne Gattungsbezeichnung, so als gehörte es sich nicht bei dem Titel. Ein neues Buch, das mit einem Gedicht beginnt, das sein Verfasser vor fast vier Jahrzehnten veröffentlicht hat. In einem Gedichtband, auf dessen Umschlagbild eine Schwarzweiß-Fotografie von Neuschwanstein dräut. Auf Einladung des Literaturvereins wird Wolf Wondratschek am Freitag, den 17. Juni um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus dem neuen Buch lesen. Es trägt den Titel „Das Geschenk“, und das Gedicht, mit dem es beginnt, heißt: „Warum Gefühle zeigen“. Die letzten Zeilen dieses Gedichtes blicken in die Zukunft: „Chuck, der sein Kind liebt, / das nie zur Welt kommen wird.“ Chuck war das Alter ego seines Autors gewesen, aber jetzt ist Chuck zurück. Es ist, so heißt es zu Beginn des Buches, „einunddreißig Jahre später“, und die zweite Hälfte der lyrischen Prognose ist widerlegt. Chucks Kind ist zur Welt gekommen, ein Sohn, der Sohn ist unbotmäßige vierzehn, wohnt bei seiner Mutter und kommt immer mal vorbei – und sein Vater, fast ein halbes Jahrhundert älter als sein Sohn, kommt sich vor „wie einer, der eine Zukunft ausspioniert, die es nicht mehr gibt“.
Wolf Wondratschek erzählt die Geschichte einer Vaterliebe: „Als Chuck allein war, spürte er den Schmerz wieder, der von der Zuneigung zu dem Kind herrührte. Er hatte es gewusst. Er hatte gewusst, warum ihm die Heiterkeit eines ewig kinderlosen Junggesellen als Glück gereicht hätte, dass er der Liebe eines Vater zu seinem Kind nicht gewachsen sein würde, dass er dieser Liebe ausgeliefert war und sie ihn, weil sie seine Kräfte überstieg, traurig machen würde, traurig wie nichts anderes auf der Welt.“ Aber Wondratschek nötigt seinem Chuck auch die dunkle Seite dieser Liebesgeschichte. Um von seiner Drogensucht loszukommen – einen Entzug hätte er nicht bezahlen können – hat er die Beziehung zu einem Mädchen aufgenommen, das ihm gleichgültig ist und bleiben wird, das ihm aber „wie etwas Blühendes, etwas berührend Unschuldiges, etwas noch kaum Berührtes“ erscheint. Sie ist für ihn eine „letzte Chance, sich vor dem Tod in Sicherheit zu bringen“. Als dann das Kind zur Welt kommt, ist „der Vater so neu geboren wie der Sohn“, und am Tag der Entbindung ist Chuck seine Sucht los, „endgültig, für immer.“ - Und dennoch ist Wondratscheks „Geschenk“ nicht allein ein Buch über die Triade Vater Mutter Kind. Es ist auch ein Buch über die Verwandlung von Leben in Literatur, ein Buch über das einsame Handwerk des Schreibens und über das Glück des Lesens. Ursula März urteilt in der „Zeit“: „Ein kleines Meisterwerk. Dies verdankt sich nicht zuletzt der Haltung, dem Ton des Textes, der Mischung aus Ernst und Selbstironie, aus lässiger Vergnügtheit und wehmütiger Melancholie."