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Cécile Wajsbrot

Der Literaturverein beginnt sein Jahresprogramm 2008 mit der Lesung einer französischen Autorin, die sich in ihrem Werk immer wieder intensiv mit Deutschland auseinander gesetzt hat. So publiziert die Schriftstellerin, die hervorragend deutsch spricht und im Rahmen des DAAD-Künstlerprogramms gerade ein Jahr in Berlin verbracht hat, im Augenblick regelmäßig unter dem Titel ‚Berliner Ensemble’ ihre Impressionen aus Berlin auf einer französischen Literaturinternetseite. Doch Cécile Wajsbrots Texte über Deutschland und die deutsche Vergangenheit sind weitaus mehr als flüchtige Impressionen. Ihre Romane, Essays und Hörspiele, die immer wieder auch ihre von der Shoah geprägte Familiengeschichte umkreisen, behandeln in einer kunstvollen musikalischen Sprache das Leiden an der Geschichte und die Last der Vergangenheit, der sich auch die ‚Nachgeborenen’ der zweiten Generation nicht entziehen können. Programmatisch heißt es in einem ihrer Romane: „Das Wesentliche meiner Arbeit […] bestand in einer Erforschung der Vergangenheit und seiner Auswirkungen auf die Gegenwart.“ Gerade der Literatur, dem Roman, schreibt sie dabei die Fähigkeit zu, „alles das, was gewöhnlich versteckt wird, ans Tageslicht zu bringen, es an die Oberfläche steigen zu lassen, wie jene Dinge, die die Flut an den Strand spült, nachdem sie seit Tagen, Wochen, Jahren verloren waren.“

Aus dem umfangreichen und vielgestaltigen Werk Cécile Wajsbrots liegen bisher einige Titel auf Deutsch vor, darunter die Romane Der Verrat (2006; La trahison, 1997) und Mann und Frau den Mond betrachtend (2003; Caspar-Friedrich-Strasse, 2002), die die Autorin in Münster vorstellen wird. Das Thema der beiden Texte ist die Erinnerung, eine Erinnerung, die so übermächtig und bedrängend ist, dass sie zum beherrschenden Faktor im Leben der Protagonisten wird. In Der Verrat ist es die verdrängte und verschüttete Erinnerung an seine große Liebe, die Jüdin Sarah, und ihr ‚Verschwinden’, die durch die Fragen einer jungen Rundfunkreporterin im Protagonisten wieder aufgerührt wird und die seine komfortable Existenz erschüttert. Die Erfahrung eines unheilbaren Verlusts steht auch in Mann und Frau den Mond betrachtend im Mittelpunkt. Kunstvoll verknüpft Cécile Wajsbrot hier verschiedene vom Verlust eines Bruders, einer Schwester, einer Geliebten gezeichnete Lebensläufe. Deren Quintessenz kommt wie in einem Spiegel in den Beschreibungen zum Ausdruck, die der Protagonist, ein ostdeutscher Schriftsteller, von den Bildern Caspar David Friedrichs entwirft. Die Erinnerungen an die Ruinen Berlins, die den 1945 geborenen Schriftsteller angesichts des ‚neuen’ Berlin heimsuchen, werden überblendet von den Ruinenlandschaften Caspar David Friedrichs, in denen jener seine eigenen Ängste und Hoffnungen zeichenhaft verkörpert sieht.

Cécile Wajsbrot gehört damit zu jenen französischen Autoren der Gegenwart, die in der Literatur ein Medium der Erinnerung und der moralischen Verantwortung sehen. So urteilt Martin Ebel im Deutschlandfunk über Der Verrat: „Moralistin ist Cécile Wajsbrot auch in dem, was sie von der Literatur verlangt. Diese darf sich nicht zugunsten der Unterhaltsamkeit und leichten Konsumierbarkeit um die wichtigen Fragen des Lebens herumdrücken. Es liegt ein fast existenzialistischer Ernst in dieser Auffassung. Cécile Wajsbrot […] hat auch für ihre Forderung an das Leben und Schreiben ein passendes Bild gefunden: Nur nicht an der Oberfläche bleiben und die Augen vor dem verschließen, was in der Tiefe liegt. Schätze können das sein, aber auch Monster. Der Schriftsteller muss ein furchtloser Tiefseetaucher sein ­­-- nicht nur der Schriftsteller: jeder Mensch