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Martin Mosebach

Im Frühjahr 2017 reiste der Schriftsteller Martin Mosebach nach Ägypten. Er besuchte im Dorf El-Or die Familien der 21 koptischen Männer, die zwei Jahre zuvor von IS-Terroristen an einem Strand in Libyen ermordet worden waren. Über diesen Besuch hat er jetzt ein Buch geschrieben, aus dem er am Freitag, den 23. März 2018 um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei lesen wird. Das Buch trägt den Titel: „Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Märtyrer“. Martin Mosebach, geboren 1951 in Frankfurt am Main, war zunächst Jurist, dann wandte er sich dem Schreiben zu. Seit 1983 entstanden elf Romane, dazu Erzählungen, Gedichte, Libretti und Essays über Kunst und Literatur, über Reisen, über religiöse, historische und politische Themen. Dafür hat Mosebach zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten, etwa den Heinrich-von-Kleist-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, den Georg-Büchner-Preis und die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt. Er ist Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung, der Deutschen Akademie der Künste in Berlin-Brandenburg sowie der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Er lebt in Frankfurt am Main.

Martin Mosebach hat ein Reisebuch geschrieben über seine Begegnung mit einer fremden Gesellschaft und einer Kirche, die den Glauben und die Liturgie der frühen Christenheit bewahrt hat – der „Kirche der Martyrer“, in der das irdische Leben von der himmlischen Sphäre nur wie durch ein Eihäutchen geschieden ist. Mosebach saß in Empfangszimmern, durch die die Schwalben flogen, und machte sich ein Bild: von den Madonnenbildern und Jesus-Porträts an den Wänden, den grob geschreinerten Reliquienschränken, das Bild einer Lebenswelt, in der alles die Spiegelung oder Erfüllung biblischer Vorgänge ist. Immer wieder wurde ihm, umgeben von Kindern, Ziegen, Kälbern, auf einem iPad das grausame Propagandavideo des IS vorgeführt; er staunte über den unbefangenen Umgang damit. Von Rache war nie die Rede, sondern vom Stolz, einen Martyrer in der Familie zu haben, einen Heiligen, der im Himmel ist. So erscheinen die 21 auf den neuen Ikonen gekrönt wie Könige.

Der Schriftsteller traf den Bischof und die koptischen Geistlichen der 21 Wanderarbeiter, besuchte ihre Kirchen und Klöster. In den Zeiten des Kampfes der Kulturen sind die Kopten als Minderheit im muslimischen Ägypten zu einem politischen Faktor geworden – und zu einer Art religiösen Gegengesellschaft. Damit ist dieses Buch auch ein Bericht aus dem Innenleben eines arabischen Landes zwischen biblischer Vergangenheit und den Einkaufszentren von Neu-Kairo. Mosebach gelinge das Porträt der Kopten, schreibt Alexander Cammann in der „Zeit“, weil „er als Erzähler seine Sicht nie verbirgt, zudem seine faszinierte Skepsis, seine Fremdheit und Befangenheit stets mitreflektiert.“





Umstritten ist er noch immer, der Schriftsteller, der vor drei Jahren den Georg-Büchner-Preis erhielt mit der Begründung, dass er stilistische Pracht mit urwüchsiger Erzählfreude verbinde und dabei ein humoristisches Geschichtsbewusstsein beweise, das sich weit über die europäischen Kulturgrenzen hinaus erstrecke. Auch an dem neuen, so geistreichen wie sprachmächtigen Roman scheiden sich die Geister, obwohl noch die Verrisse nicht ganz auf Respektbekundungen verzichten können. Am Mittwoch, den 17. November wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Martin Mosebach aus seinem Roman „Was davor geschah “ lesen. Es ist ein Roman, der sich an dem Dialog eines Liebespaars entzündet. Wie das gewesen sei? Wie was gewesen sei? Als es sie noch nicht gegeben habe? Das sei gewesen, als er ein halbes Jahr in Frankfurt gelebt habe. Wie das gewesen sei, als er allein in Frankfurt gelebt habe? Antwort: „Ach, das war nichts Besonderes, das war so …“

Also eine zu Verdacht und Eifersucht bereite Rahmenerzählung – und ein Roman über nichts Besonderes. Es ist ein äußerst eloquentes und auch eloquent verschwiegenes Erzählen mit einer zentripedalen Tendenz zu einer Novelle und der zentrifugalen Tendenz zu einem Gesellschaftsroman.

Und es finden sich hier feinnervige Soziogramme wie in Eduard Graf von Keyserlings baltischen Adelsgeschichten, Interieurs wie in Heimito von Doderers „Strudlhofstiege – und Psychogramme wie in Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“. Und das alles wird vorgetragen in einer Sprache, so leicht wie die in Wolf von Niebelschütz’ „Der blaue Kammerherr“. Man kommt nicht umhin, Mosebachs Roman-Stimme im Konzert der großen Stilisten wahrzunehmen, und hat dennoch nie das Gefühl, „Was davor geschah“ habe etwas Epigonales. Martin Mosebach kann alles. Er kann Nachtigallen und Kastanienbäume, er kann Katzen und Schneenächte. Und er kann Familien: Wie sie entstehen und vergehen, wie sie blind sind und wie jeder jeden durchschaut. Und Martin Mosebach kennt die Welt: die vor seinem Fenster anfängt und über den Taunus bis in den Orient reicht. Ein Roman, so unabhängig und originär in der Fabel, so glanzvoll im Detail, so souverän in der fast verschlagen ausgeklügelten Komposition. In seiner ästhetischen Autonomie ein Modell für – auch gesellschaftliche – Selbstbestimmung. Vielleicht schreibt Mosebach konservativ, aber derart entspannt weiß er, dass er das tut, und auch, mit altmeisterlicher Ironie: dass er das kann. Der KulturSPIEGEL hat vor einigen Wochen „Was vorher geschah “ zu den 10 Büchern gezählt, „die Sie sich sparen können.“ Aber Hubert Spiegel in der FAZ hat ihn nicht nur zum Besten der neuen Saison gezählt, sondern der neuen deutschen Gegenwartsliteratur überhaupt.