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Dževad Karahasan

Als im Jahr 2012 der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wurde, hielt Martin Mosebach die Laudatio. In ihr stellte er Karahasan in die große Tradition orientalischen Erzählens, wie sie durch das Alte Testament und „Tausend und eine Nacht“ auch in Europa Nachfolger gefunden habe: „Es ist eine Erzähltradition, die eine innere Verbindung mit der Teppichwirkerei hat und so ist auch Karahasans Sprache verschlungen, der Faden wandert vor und wieder zurück, der Faden verknäult sich und das Knäuel löst sich wieder auf, er wird unsichtbar unter anderem Geflecht und taucht unversehens wieder auf.“ Am Dienstag, den 24. Mai 2016 wird Dževad Karahasan um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus seinem neuen Roman lesen, der von der Münsteranerin Katharina Wolf-Grieshaber übersetzt worden ist: „Der Trost des Nachthimmels“.

Karahasan ist 1953 in Duvno/Jugoslawien geboren worden und lebt heute in Graz und Sarajevo. Als Erzähler, Dramatiker und Essayist gehört er zu den großen europäischen Autoren, für die das Ästhetische und das Ethische untrennbar miteinander verbunden sind; Karahasan ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

In seinem neuen Roman schildert er, wie ein heraufziehender religiöser Fundamentalismus eine blühende, von geistiger Vielfalt und Toleranz geprägte Epoche zerstört. Es ist ein Epos, das auf frappierende Weise durchsichtig wird für die aktuelle Gegenwart.
In Isfahan, der Hauptstadt des Seldschuken-Reiches, stirbt unerwartet ein hochangesehener Mann. Der Sohn des Verstorbenen fordert Aufklärung. An den Ermittlungen nimmt auch der Hofastronom Omar Chayyam teil. Er kommt zu dem Schluss, dass der Mann vergiftet wurde. Dabei hatte er versucht, den Trauernden davon zu überzeugen, dass es besser wäre, sich an den Vater zu erinnern, wie er war, anstatt dieses Bild durch Ermittlungen in Zweifel zu ziehen. Was fangen sie nun mit dieser Wahrheit an? Kurz darauf verdüstert sich der Horizont. Hofintrigen und soziale Spannungen bedrohen das Reich von innen, während ihm Kreuzritter und Mongolen von außen gefährlich werden. Doch der Sultan lehnt die Gründung eines Nachrichtendienstes zur Gefahrenbekämpfung ab. Ein verhängnisvoller Fehler. Als der berühmte Mathematiker und Dichter Jahrzehnte später Rechenschaft über sein Leben ablegt, ist das Reich zerfallen. Eine Terrororganisation, angeführt von einem früheren Weggefährten Omar Chayyams, versetzt die Gegend in Angst …
Andreas Breitenstein in der Neuen Zürcher Zeitung würdigt nicht nur den Schriftsteller: „Dževad Karahasans von Katharina Wolf-Griesshaber famos ins Deutsche übersetzter Ideenroman ist ein Jahrzehnte-Ereignis. Es wird viel Zeit brauchen, seine künstlerische und intellektuelle, spielerische und philosophische, ernste und (aber)witzige Dimension zu erfassen.“



Im Rahmen der durch die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost geförderten und von Münster Marketing organisierten Veranstaltungsreihe „Münster 1648: Dialoge zum Frieden“ und im unmittelbaren Vorfeld der Verleihung des Westfälischen Friedenspreises an Daniel Barenboim stellt der Literaturverein Münster einen Autor vor, dessen Leben und Werk für den thematischen Zusammenhang von Stadt und Verständigung stehen. Am Donnerstag, den 28. Oktober wird Dževad Karahasan um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus seinem neuen Essayband „Die Schatten der Städte“ lesen.

Dževad Karahasan, beheimatet in den literarischen Traditionen der antiken, der islamischen und der christlichen Welt, ist Erzähler, Dramatiker und Essayist. Geboren 1953 in Duvno (Bosnien-Herzegowina), lebt er heute in Graz und Sarajevo. Die Belagerung Sarajevos war Thema seines in zehn Sprachen übersetzten „Tagebuchs der Aussiedlung„ und seiner Romane „Sara und Serafina“ und „Scharijârs Ring“. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet; für „Das Buch der Gärten„ erhielt Karahasan 2004 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Sein neuester Essayband „Die Schatten der Städte" reflektiert eine Literatur, die in den vielsprachigen, oft von ungleichzeitigen Kulturen geprägten Metropolen zu Hause ist. In der zweiten Abteilung dieses Bandes finden sich drei Essays, die exemplarisch zeigen, wie eine Stadt erzählt – und gelesen werden kann: „Das Erzählen und die Stadt“, „Sarajevo erzählen“ und „Mein Sarajevo erzählen“. Den Zusammenhang zwischen Stadt und Erzählung begründet Karahasan so: „Das Grundmotiv der Erzählung ist die Begegnung. Erzählen ist Rede über einen anderen, die literarische Form, in der das sprechende Subjekt die Erfahrung seiner Begegnung artikuliert, seine Konfrontation mit einem anderen Menschen, einer anderen Existenzform, einer anderen Welt oder dem anderen Geschlecht, anderem Denken, Fühlen …“

In einer Stadt, die ihr Selbstverständnis seit ihrem Stadtjubiläum 1993 auch in der Chillida-Skulptur „Toleranz durch Dialog“ und dem ihr zugeordneten Ginkgo-Baum verkörpert sieht, verdient das Werk von Dževad Karahasan also besondere Aufmerksamkeit. Die Neue Zürcher Zeitung über die „Schatten der Städte“:„Spiel ist erlaubt, Augenwischerei verpönt. In seiner bescheidenen Gründlichkeit bewirkt Karahasan nichts Geringeres, als dass dem Leser bei der Lektüre die Augen aufgehen.“
Die in Münster lebende langjährige Übersetzerin Karahasans, Katharina Wolf-Grießhaber, wird anwesend sein.