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Mathias Énard

„Kompass ist das Buch der Stunde“ – mit diesen Worten bewirbt der Hanser Verlag das soeben auf Deutsch erschienene neueste Buch des französischen Schriftstellers und Orientalisten Mathias Énard. Auf Einladung des Literaturvereins Münster wird der Autor am Mittwoch, 23. November 2016, um 20 Uhr in der Stadtbücherei seinen Roman vorstellen.

In der Tat widmet sich dieses Buch, das im vergangenen Jahr mit dem wichtigsten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet worden ist, einem Thema, das aktueller kaum sein könnte: dem Verhältnis von Orient und Okzident. Dabei beschreitet Énard allerdings einen ganz anderen Weg als sein französischer Schriftstellerkollege Michel Houellebecq, der in seinem Roman Unterwerfung (2015) mit satirischer Schärfe den westlichen Ängsten vor dem Islam Ausdruck verliehen hatte. Énard dagegen geht von der Jahrhunderte alten Faszination des Abendlands für das Morgenland aus. Mit stupender Gelehrsamkeit und zahllosen literarischen Anspielungen erzählt er von der Leidenschaft, mit der europäische Gelehrte seit dem 19. Jahrhundert die alten Kulturen des Orients erforschen und europäische Reisende und Künstler ihr Heil im Orient suchen. In ihrer Tradition steht der Ich-Erzähler seines Romans: Franz Ritter, ein Wiener Musikwissenschaftler, dessen Lebensthema die Erforschung des Einflusses der arabischen auf die westliche Musik ist. Krank, von Todesängsten und Liebessehnsucht geplagt, erinnert er sich in einer schlaflosen Nacht an seine Reisen nach Istanbul und Teheran, nach Aleppo, Damaskus und Palmyra. In seinen Wachträumen beschwört er die Phantome all derjenigen herauf, denen er auf diesen Reisen begegnet ist oder die ihm auf seiner Suche vorangegangen sind, von Nerval über Karl May bis Annemarie Schwarzenbach. Nicht zuletzt gelten Franz’ Fieberträume der großen Liebe seines Lebens, Sarah, Orientalistin und Spezialistin für den westlichen Orientalismus, mit der ihn seit zwanzig Jahren eine komplizierte Beziehung verbindet. Wie einst Scheherazade in den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erzählt auch Franz gegen den Tod an, gegen seinen eigenen, aber auch gegen das Ende der gemeinsamen Geschichte von Orient und Okzident, und dies im Angesicht einer sehr realen Bedrohung, der Städte wie Palmyra und Aleppo in diesem Moment ausgesetzt sind. Mathias Énard hat seinen Kompass „den Syrern“ gewidmet.