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Geert Buelens
Man müsste schon Augen und Ohren verschlossen haben, um in den letzten Wochen und Monaten nicht in allen denkbaren Medien und „Formaten“ auf alle nur denkbaren Aspekte des Ersten Weltkrieges gestoßen zu sein. Unter dem Titel „1913“ hatte bereits Florian Illies den Vorkriegs-„Sommer des Jahrhunderts“ facettenreich in Erinnerung gerufen, aber auch voluminöse historische Gesamtdarstellungen haben es auf die Bestsellerlisten gebracht. Wer sich vor diesem Hintergrund mit der Literatur beschäftigt, die der Erste Weltkrieg „hervorgebracht“ hat, wird sich mit einem Phänomen konfrontiert sehen, das so merkwürdig wie denkwürdig ist: auf die Geburt der Literatur durch den Stellungskrieg. Millionen von Brief- und Tagebuchseiten, aber auch Abertausende Seiten aller literarischen Gattungen sind entstanden unter der Bedingung eines enervierenden Stagnation, einer apokalyptischen Bedrohung, einem „Zerfall der Werte“, den Hermann Broch in seinen „Schlafwandlern“ beklagt hat. Zivilisationsmüde Literaten hatten unversehens den existentiellen Stoff, und umgekehrt wurden „einfache“ Soldaten im Tohuwabohu der Verhältnisse zu „expressiven“ Schriftstellern. Wenn nun der Große Krieg, wie ihn die Franzosen und Engländer nennen, wirklich der erste Welt-Krieg gewesen ist, dann liegt es zwingend auf der Hand, den Blick nicht nur auf die deutschsprachige Literatur zu richten. Der 1971 in Duffel, Belgien, geborene Dichter, Essayist und Professor für Neure niederländische Literatur an der Universität von Utrecht hat unter dem Titel „Europas Dichter und der Erste Weltkrieg“ ein Werk vorgelegt, dass ein beeindruckendes Stück Mentalitäts-, Kultur-, Kriegs- und politischer Geschichte ist. Am Donnerstag, den 5. Juni 2014 wird er um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus diesem Werk lesen.Als im sonnenüberfluteten Europa im Sommer 1914 in einer bis dahin beispiellosen Form von Kriegshysterie Millionen Männer singend an die Front zogen, standen Dichter dabei überall in vorderster Linie. Englische „war poets“ und deutsche Expressionisten, französische Dadaisten und russische Futuristen, flämische, ungarische, baltische Akteure kämpften nicht nur mit der Waffe, sondern auch mit dem Wort. Innerhalb der europäischen Nationen und ethnischen Volksgruppen wogten nationales oder befreiungsbewegtes, aber auch pazifistisches Pathos und weltrevolutionäre Emphase, Hass und Verzweiflung unrhythmisch auf und nieder. Geert Buelens breitet in seinem bereits mehrfach ausgezeichneten Buch ein flirrendes europäisches Panorama aus - nicht nur der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch und vor allem der Menschen, die sie schrieben. Er bezieht dabei neben bekannten Protagonisten wie Pessoa, Majakowski, Marinetti, Apollinaire, Trakl, Sassoon viele andere, weniger bekannte Dichter mit ein. Große Aufmerksamkeit widmet er dem englischen Schriftsteller Ford Hermann Hueffer (1873–1939), dessen Großvater väterlicherseits der Verleger Johann Hermann Hüffer aus Münster war und der wegen der antideutschen Stimmung in England während des Ersten Weltkrieges 1919 seinen Namen änderte und sich Ford Madox Ford nannte, als der er in die Literaturgeschichte eingegangen ist.